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Neues Europäisches Abfall- und Chemikalienrecht: Warum sich die EU jetzt auch für Ihre Schrauben interessiert
Seit Januar 2021 ist das neue Abfall- und Chemikalienrecht für Europa in Kraft. Die „Mischung“ aus den beiden wohl komplexesten EU-Rechtsnormen – der REACH-Verordnung 1907/2006 (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und der Abfallrahmenrichtlinie 2009/98/EG – stellt viele Unternehmen seitdem vor neue Herausforderungen.
Auch jetzt – über ein halbes Jahr nach Wirksamwerden der neuen Pflichten – werden insbesondere der Umfang und die Form neuer Meldepflichten heiß diskutiert oder aber einfach ignoriert.
Martina Wunderlich, Senior Risk Consultant für Risk Control & Engineering (RCE) bei Aon, erklärt, warum Unternehmen jetzt handeln sollten. Sie gibt zeitsparende Tipps für Betriebe, die zum Anwendungsbereich gehören.
Für wen gelten die neuen Regelungen?
Von den neuen Meldepflichten an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sind nicht nur Unternehmen der Chemiebranche betroffen, sondern alle Lieferanten und hiermit auch Produzenten (einschließlich Montage), Importeure, Händler (ausgenommen Einzelhändler) und Hersteller von Erzeugnissen.
Dies gilt zwar nur, wenn deren Erzeugnisse mehr als 0,1 Massenprozent eines besonders besorgniserregenden Stoffes enthalten (vgl. Art. 3 Nr. 33 REACH). Jedoch kann schon durch einen kleinen Anteil an Blei eine Schraube zu einem meldepflichtigen Erzeugnis werden.
Doch welche Stoffe sind eigentlich „besonders besorgniserregend“? Und wie lassen sich diese in unterschiedlichen Erzeugnissen finden? Um Fragen wie diese zu klären, ist es zunächst wichtig zu verstehen, was die Bezeichnung „Erzeugnis“ konkret umfasst.
Denn nicht nur die Begriffe „Lieferant“ und „besorgniserregender Stoff“ müssen näher beleuchtet werden, um die eigenen Pflichten zu identifizieren. Auch das Wort „Erzeugnis“ hat bereits zu umfangreichen Auslegungen der unterschiedlichen Gremien geführt. So zum Beispiel in der 60-seitigen Broschüre der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund (BAUA).
Die SCIP-Datenbank
Für die nach der Abfallrahmenrichtlinie zu übermittelnden Daten hatte die ECHA bis um 5. Januar 2021 eine Datenbank einzurichten (vgl. Art. 9).
Bereits im Oktober 2020 war es soweit. Als europäische Plattform wurde die SCIP-Datenbank freigeschaltet. SCIP steht dabei für Substances of Concern In articles as such or in complex objects (Products).
Mittlerweile wurden europaweit ca. 6 Millionen Einträge in die SCIP-Datenbank aufgenommen.
In Deutschland ist die grundsätzliche Meldepflicht in § 16f des Chemikaliengesetzes (ChemG) festgelegt. Die SCIP-Datenbank ist darin bislang aber noch nicht konkret erwähnt. In Absatz 2 wird jedoch auf eine noch zu erstellende Rechtsverordnung verwiesen, welche Details zur Meldepflicht festlegen soll.
Gelebte Praxis: SCIP-Datenbank wird wenig genutzt
Einige Unternehmen warten nun mit ihrer Meldung in SCIP ab, bis die genaue Rechtsverordnung vorliegt. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht zu empfehlen, da hier schnell eine nicht rechtskonforme Situation entstehen kann.
Die in SCIP geforderten Daten gehen weit über die originär in der REACH-Verordnung geforderten Daten hinaus. So haben einige Unternehmen versucht, formlos nur die in REACH geforderten Angaben an die ECHA zu senden. Diese Schreiben wurden dann regelmäßig von der ECHA mit dem Hinweis auf die SCIP-Datenbank zurückgewiesen.
Besonders besorgniserregende Stoffe in den eigenen Erzeugnissen?
Besorgniserregende Stoffe (kurz: SVHC, aus dem Englischen Substances of Very High Concern) sind in der sogenannten REACH-Kandidatenliste aufgeführt, welche regelmäßig aktualisiert und ergänzt wird. Die aktuelle Liste stammt aus Januar 2021 und kann hier abgerufen werden.
„Überprüfen Sie, ob Sie in Ihrem Unternehmen mit Erzeugnissen umgehen, die SVHC-Stoffe enthalten“, empfiehlt Martina Wunderlich. „Sollte dies der Fall sein, ist es ratsam, gemeinsam mit dem Lieferanten nach Ersatzprodukten zu suchen. Denn eine Substitution solcher Stoffe kann dabei helfen, die beschriebenen Anforderungen zu vermeiden.“ Substitutionsprüfungen sollten dabei unter Berücksichtigung des deutschen Gefahrstoffrechts gemäß der neuen Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 600-Substitution (Stand: Juli 2020) erfolgen und transparent dokumentiert werden.
Zur SVHC-Suche können beispielsweise die Informationen des REACH-Netzwerkes Baden-Württemberg genutzt werden.
Unternehmen können hier unkompliziert und nachvollziehbar SVHC finden, die sich möglicherweise in ihren Materialgruppen befinden (z.B. in den Gruppen Eisen und Stahl, Kunststoff, Holz, Papier, Textilien, etc.).
SVHC-Erzeugnisse, die nicht ersetzt werden können, müssen hingegen in die neue SCIP-Datenbank eingetragen werden. Die Angaben müssen dabei folgende Informationen beinhalten:
- Bezeichnung des Artikels (z. B. Maschinen, Fahrrad, Computer, Textilien, Möbel, etc.)
- Name des Stoffes inklusive Konzentrationsbereich und Angabe des Ortes, an dem sich der Stoff im oder am Erzeugnis befindet
- Sonstige Angaben wie z. B. die Abfallschlüsselnummer, um sicherzustellen, dass das Erzeugnis als Abfall ordnungsgemäß entsorgt wird
Tipps bei Eintragungen in die SCIP-Datenbank
- Identische Erzeugnisse können bzw. sollten gruppiert werden (gleiches Produkt z. B. bei unterschiedlichen Produktionsstandorten oder aus verschiedenen Batches).
- Quasi-identische Erzeugnisse (gleiche Zusammensetzung und Funktion) können bzw. sollten gruppiert werden (z. B. Dichtungsringe mit unterschiedlichem Durchmesser bei gleicher Zusammensetzung).
- Auch quasi-identische komplexe Erzeugnisse können gruppiert werden, soweit sie die gleichen SVHC-haltigen Komponenten enthalten (unterschiedlich große Bauteile, in denen die gleichen Dichtungen mit SVHC vorkommen).
- Hat ein Lieferant Teile, die in bestimmte Erzeugnisse eingebaut werden, schon registriert, kann auf die bestehende SCIP-Nummer des Lieferanten referenziert werden.
- Händler können für unveränderte Erzeugnisse die vereinfachte Meldung (SSN, Simplified SCIP Notification) verwenden.
- Konzerne können ihren Tochterunternehmen viel Arbeit abnehmen, indem die Hauptmeldung von der Zentrale durchgeführt wird. Wichtig: Jedes Tochterunternehmen muss seiner Meldepflicht dennoch nachkommen; diese kann dann aber vereinfacht erfolgen.
Zusammenfassung: To Dos für Unternehmen – Die RCE empfehlen
- Klären Sie, ob Sie eine SCIP-Meldung einreichen müssen. (Wie viele Produkte sind betroffen?)
- Beziehen Sie Ihre Lieferanten ein.
- Dokumentieren Sie nachvollziehbar, wenn Sie zu dem Schluss gekommen sind, dass keine Meldepflichten bestehen.
- Filtern Sie Ihre bereits vorliegenden Informationen nach SVHC.
- Versuchen Sie, Erzeugnisse als solche von (komplexen) Erzeugnissen zu unterscheiden.
- Machen Sie sich durch Nutzung der öffentlich zugänglichen Trial Versions im Internet mit der Datenbank vertraut.
- Bereiten Sie die Einreichung vor.
- Reichen Sie Ihre Meldung ein.
- Lassen Sie sich von anerkannten Unternehmen helfen.
- Nehmen Sie die Umsetzung von Pflichten u.a. nach REACH in Ihre Managementsysteme auf.
Gemeinsam zum Ziel
Aon empfiehlt Unternehmen, sich regelmäßig einen Überblick über den aktuellen Stand ihrer Umwelt-Compliance zu verschaffen. Insbesondere, wenn die aufgeführten Regelungen Neuland bedeuten, ist eine frühzeitige Auseinandersetzung mit deren Anwendbarkeit und Umsetzung wichtig. In diesem Zusammenhang sollte auch nochmal geprüft werden, welche zusätzlichen Regelungen in den vergangenen Jahren in Kraft getreten sind und inwieweit die Umsetzung bislang im Unternehmen erfolgt ist.
Dabei sind Sie nicht auf sich allein gestellt. Die erfahrenden Risk Control & Engineering (RCE)-Experten von Aon unterstützen Ihr Unternehmen gerne bei der Vorbereitung und Umsetzung. Dazu zählen die Ermittlung der Umweltrisiken, die Zuordnung von Umweltrechtsnormen sowie die Ausarbeitung der Anforderungen zur Einhaltung der Fristen.
Dafür bietet Aon Unternehmen unter anderem effektive Fortbildungen zu Umwelt- und Gefahrstoffthemen sowie gründliche UmweltChecks.