Hier schreiben regelmäßig Aon Expertinnen und Experten zu aktuellen Entwicklungen in den Themenfeldern Risiko, Kapital und Human Resources. Mit diesen Informationen und Erkenntnissen können Führungskräfte bessere Entscheidungen für ihr Unternehmen treffen.

Keep Me Workin’ On: Flexible Übergänge in den Ruhestand – Herausforderung und Chance für Arbeitgeber
Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel setzen viele Unternehmen in Deutschland unter Druck, während die Babyboomer-Generation – allen voran der geburtenstarke Jahrgang 1964 – an der Schwelle zum Ruhestand steht. Mit ihnen droht wertvolles Fachwissen unwiederbringlich verloren zu gehen. Viele Arbeitgeber stehen daher vor einem Dilemma: Einerseits besteht das Interesse, erfahrene Mitarbeitende möglichst lange im Unternehmen zu halten, um Wissenstransfer zu ermöglichen und den zunehmenden „War for Talents“ abzufedern. Andererseits sehen sich einige Unternehmen durch wirtschaftliche Entwicklungen oder Umstrukturierungen gezwungen, Personal abzubauen – oft auch in den älteren Jahrgängen. Gleichzeitig zeigt sich, dass viele Mitarbeitende einen möglichst frühen, zugleich aber sozial abgesicherten und flexiblen Ruhestand anstreben. Diese gegenläufigen Interessen stellen die Personalpolitik vor neue Anforderungen.
Die für Vertreterinnen und Vertreter aus namhaften Unternehmen verschiedener Branchen von Aon im Februar und März 2025 organisierten Business Breakfasts in fünf deutschen Städten zeigten, dass viele Arbeitgeber es oft gar nicht mitbekommen, wenn Mitarbeitende die gesetzliche Rente beantragen und dadurch unter Umständen unliebsame Rechtsfolgen auslösen. Einige Arbeitgeber beschäftigen dagegen sogar Rentenberater bzw. haben das entsprechende Know-How für fundierte Entscheidungen der Mitarbeitenden, bevor diese eine gesetzliche Rente in Anspruch nehmen.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen bieten inzwischen deutlich mehr Spielraum, als vielen bewusst ist. Seit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2023 haben sich die Perspektiven für einen gleitenden Übergang in den Ruhestand deutlich verbessert. Mitarbeitende, die eine gesetzliche Teilrente in Anspruch nehmen möchten, haben zudem das Recht, mit dem Arbeitgeber über eine entsprechende Anpassung ihrer Arbeitszeit zu sprechen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, sich mit konkreten Vorschlägen des Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Diese gesetzlich verankerte Dialogpflicht, die bereits vor dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen galt, wird Arbeitgeber jetzt mehr und mehr in die aktive Verantwortung bringen – und schafft gleichzeitig neue Möglichkeiten, altersgerechte Beschäftigungsmodelle zu gestalten.
Auch auf politischer Ebene stehen weitere Veränderungen im Raum. Der aktuelle Entwurf für ein zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG II) sieht unter anderem vor, dass künftig bereits der Bezug einer gesetzlichen Teilrente genügen könnte, um Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung (bAV) vorzeitig zu beziehen – vorausgesetzt, die weiteren Voraussetzungen der Versorgungszusage sind erfüllt. Ob und in welcher Form das BRSG II unter der neuen Regierung verabschiedet wird, bleibt abzuwarten. Der mittlerweile vorliegende Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD lässt hier noch keine eindeutigen Schlüsse zu. Dennoch lohnt es sich für Arbeitgeber bereits jetzt, mögliche Auswirkungen in ihre strategischen Überlegungen einzubeziehen.
In Kombination mit Zeitwertkonten lässt sich bereits heute ein hohes Maß an Flexibilität erreichen. Das sogenannte „Dreifachverdiener-Modell plus“ – also die gleichzeitige Nutzung von Teilrente, bAV und reduzierter Erwerbstätigkeit, ggf. ergänzt durch Zeitwertguthaben – bietet sowohl aus Sicht der Arbeitgeber als auch der Mitarbeitenden vielfältige Vorteile (vgl. hierzu auch den auf PensionsIndustries erschienenen Beitrag). Voraussetzung ist jedoch, dass die neue Bundesregierung auch hier den Entwurf des BRSG II wie ursprünglich geplant umsetzt und dadurch zumindest bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze die rechtssichere Entsparung aus einem Zeitwertkonto bei gleichzeitigem Bezug einer gesetzlichen Rente ermöglicht. Arbeitgeber können so erfahrene Fachkräfte länger halten, Wissen sichern und gleichzeitig die Arbeitsbelastung im Alter reduzieren. Mitarbeitende wiederum profitieren von planbaren Einkommensströmen, steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten und einem sanften, selbstbestimmten Übergang in den Ruhestand.
Die Diskussionen im Rahmen der erfolgreichen Aon Business Breakfasts haben deutlich gemacht: Der Bedarf an Orientierung, Gestaltungshilfe und rechtssicherer Beratung ist groß. Unternehmen wünschen sich praxistaugliche Konzepte, die auf ihre individuelle Situation zugeschnitten sind, Gestaltungsoptionen, die Mitarbeitenden die Entscheidung erleichtern – und nicht zuletzt tragfähige Anreizsysteme, um ältere Mitarbeitende zur Weiterarbeit zu motivieren.
Die Resonanz auf die Veranstaltungsreihe war durchweg positiv. In vertrauensvoller Atmosphäre entstand ein lebendiger und konstruktiver Austausch zu betrieblichen Erfahrungen, bestehenden Herausforderungen und neuen Lösungswegen. Besonders erfreulich war die Offenheit, mit der Teilnehmende über unternehmensinterne Praktiken und individuelle Fallkonstellationen mit unseren Expert:innen sprachen. Der fachliche Input wurde als hilfreich und praxisnah empfunden – gerade, weil das Wissen zum Thema in den einzelnen Unternehmen noch sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Aon wird diesen Dialog fortsetzen. Ziel ist es, Arbeitgeber dabei zu unterstützen, aus den rechtlichen Neuerungen strategische Chancen zu entwickeln. Denn gerade jetzt ist es entscheidend, nicht nur zu reagieren – sondern den Wandel aktiv mitzugestalten. Die Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand ist dabei kein Randthema mehr, sondern eine zentrale Stellschraube zukunftsfähiger Personalpolitik. Denn klar ist: Die „Babyboomer“ gehen – und mit ihnen wertvolles Know-how. Unternehmen, die jetzt aktiv werden, sichern sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im zunehmend intensiven Kampf um Fachkräfte.