Die „Babyboomer“-Generation geht in Rente – eine Herausforderung für viele Arbeitgeber

Lesezeit: 7 Minuten

Der Abschied der Babyboomer-Generation vom Erwerbsleben ist in vollem Gange, der Höhepunkt der Renteneintritte wird dabei in den kommenden Jahren erreicht werden. Bereits jetzt ist aber der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt ein virulentes Thema für viele Arbeitgeber. Häufig kann das Know-how, das Mitarbeitende mit in ihre Rente nehmen, nicht adäquat ersetzt werden.

Die Aon Experten Roland Horbrügger und Christiane Dirr sprechen im 5-Fragen-Interview über Möglichkeiten für Arbeitgeber, wie sie Babyboomer länger an sich binden und damit deren Fachwissen weiter im Unternehmen halten können.

1. Die Generation der Babyboomer geht in Rente. Was sind die Herausforderungen, vor die viele Arbeitgeber dadurch gestellt werden?

Christiane Dirr: Als „Babyboomer“ bezeichnet man die Generation, die nach dem zweiten Weltkrieg in der Zeit steigender Geburtenraten zur Welt kam. In Deutschland sind die geburtenstarken Jahrgänge die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen. Die meisten Geburten wurden 1964 verzeichnet. Das war vor genau 60 Jahren, sodass der Renteneintritt dieses geburtenstärksten Jahrgangs unmittelbar bevorsteht. Und die wohlverdiente Rente sei auch jedem einzelnen von ihnen gegönnt. Aus Sicht der Arbeitgeber verlassen bei einem Renteneintritt aber nicht nur die Mitarbeitenden das Unternehmen, sondern auch ihr über Jahre aufgebautes Know-how.

Roland Horbrügger: Und das ist insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels häufig kein einfacher Umstand. Wenn Mitarbeitende mit enormem Fachwissen ausscheiden und Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, die Stelle mit entsprechendem Fachpersonal nachzubesetzen, ist es Zeit, darüber nachzudenken, wie man die rentennahen Fachkräfte vielleicht über das Renteneintrittsalter hinaus noch etwas weiterbeschäftigen kann. Das können Arbeitgeber sicherlich teilweise durch die Bereitschaft zu sehr hohen Gehaltszahlungen lösen. Wir haben uns aber Gedanken darüber gemacht, ob es nicht vielleicht auch andere Mittel und Wege gibt, um es der Babyboomer-Generation schmackhaft zu machen, etwas länger im Job zu arbeiten.

2. Welche Möglichkeiten hat der Arbeitgeber, um die Babyboomer länger im Arbeitsverhältnis zu halten?

Roland Horbrügger: In erster Linie können es sich Arbeitgeber und Mitarbeitende zunutze machen, dass mit Inkrafttreten des 8. SGB IV-Änderungsgesetzes zum 01.01.2023 die Hinzuverdienstgrenzen für den Bezug einer vorgezogenen Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung weggefallen sind. Bislang regelte § 34 Abs. 2 SGB VI, dass Anspruch auf eine Vollrente in der gesetzlichen Rentenversicherung nur besteht, wenn eine Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro im Jahr nicht überschritten wird. Inzwischen ist der Bezug der Rente trotz Weiterarbeit mit vollem Gehalt möglich. Auch eine Tätigkeit in Teilzeit ist denkbar, obwohl bereits eine Sozialversicherungsrente fließt.

Christiane Dirr: Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen hat natürlich auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten des Bezugs einer Betriebsrente. Nach § 6 BetrAVG haben Arbeitnehmer Anspruch auf eine vorgezogene betriebliche Altersversorgung, wenn sie eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nehmen. Dadurch, dass ein Hinzuverdienst von mehr als 6.300 Euro im Jahr den Bezug der gesetzlichen Vollrente nicht mehr ausschließt, schließt er auch den Bezug der vorgezogenen Betriebsrente nicht länger aus. Letztlich geht es aber beim Thema Mitarbeiterbindung nicht nur um Geld. Auch Vorsorgemöglichkeiten wie eine betriebliche Krankenversicherung oder beispielsweise das Einräumen von mehr Urlaubstagen für ältere Mitarbeitende können geeignete Benefits sein, um die Mitarbeitenden im Unternehmen zu halten.

3. Was müssen Arbeitgeber denn beachten, wenn sie den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum Zweck der Mitarbeiterbindung nutzen wollen?

Christiane Dirr: In erster Linie kommt es auf die Ausgestaltung der Verträge an. Enthält der Arbeitsvertrag vielleicht einen Passus, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Bezug einer gesetzlichen Rente oder dem Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze endet? Wenn Mitarbeitende über diesen Zeitraum hinaus weiterarbeiten wollen, müsste der Vertrag entsprechend verändert werden. Das Gleiche gilt, wenn die Tätigkeit in Teilzeit ausgeübt werden soll. Und dann hat die weitergehende Tätigkeit natürlich Auswirkungen in der Sozialversicherung. Beispielsweise ist die Tätigkeit, die Mitarbeitende nach Erreichen der Regelaltersgrenze ausüben, gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei, wenn sie eine Vollrente wegen Alters beziehen.

Roland Horbrügger: Aber auch bei der betrieblichen Altersversorgung sind zahlreiche Dinge zu beachten. Zum Beispiel muss geprüft werden, ob die Versorgungszusage vorsieht, dass eine Leistung nur erbracht wird, wenn die Mitarbeitenden aus den Diensten des Arbeitgebers ausscheiden. Wenn ein Bezug der Betriebsrente trotz Weiterarbeit ermöglicht werden soll, müsste die Zusage entsprechend verändert werden. Eine Änderung der Zusage wird in den meisten Fällen aber auch in Bezug auf die Leistungshöhe geboten sein. Häufig bestehen sogenannte Anrechnungsklauseln, bei denen Einkommen während des Rentenbezugs auf die Betriebsrente angerechnet wird. Solche Klauseln wären anzupassen. Und darüber hinaus muss – beispielsweise bei beitragsorientierten Zusagen – entschieden werden, ob sich die Betriebsrente durch die Weiterarbeit nach Erreichen der Altersgrenze noch weiter erhöhen soll. Geklärt werden muss in dem Fall auch, ob die Dotierung beispielsweise einer Direktversicherung überhaupt noch möglich ist.

4. Welche Möglichkeiten bestehen, den älteren Mitarbeitenden eine betriebliche Krankenversicherung einzuräumen?

Christiane Dirr: Die betriebliche Krankenversicherung ist ein tolles Benefit. Das betrifft insbesondere ältere Mitarbeitende, denn es besteht ein anerkannter Wirkungszusammenhang von erreichtem Lebensalter und Krankheitsanfälligkeit. Je älter ein Mensch, desto wahrscheinlicher ist, dass sich der Gesundheitszustand verschlechtert. Arbeitgeber können älteren Personen einen einfacheren Zugang zu einer betrieblichen Krankenversicherung bieten. Bemühen sie sich privat um eine solche Gesundheitsabsicherung, stehen dieser nämlich häufig Gesundheitsfragen, Wartezeiten oder bestehende Vorerkrankungen im Wege. Das Schönste für Arbeitgeber dabei ist: Im Rahmen der 50-Euro Freigrenze sind die Beiträge für eine betriebliche Krankenversicherung steuer- und sozialversicherungsfreier Sachlohn. Das heißt, ein solches Benefit ist für den Arbeitgeber deutlich günstiger als eine höhere Gehaltszahlung.

Roland Horbrügger: Nach unserer Auffassung ist es darüber hinaus auch zulässig, nur älteren Mitarbeitenden eine betriebliche Krankenversicherung anzubieten. Man zuckt bei dem Gedanken erst einmal zusammen, weil eine solche Begünstigung der älteren Mitarbeitenden für die jüngeren Mitarbeitenden in der Belegschaft eine unmittelbare Altersdiskriminierung darstellt. Jede Medaille hat natürlich zwei Seiten. Die Ungleichbehandlung kann unseres Erachtens aber gerechtfertigt werden: § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG gesteht Arbeitgebern einen Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu, wenn mit der Ungleichbehandlung der Schutz älterer Beschäftigter bezweckt ist. Mit Urteil vom 21.10.2014 (3 AZR 956/12) hat das Bundesarbeitsgericht beispielsweise genau aus diesem Grund entschieden, dass die Gewährung zweier zusätzlicher Urlaubstage für Mitarbeitende, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, zulässig ist. Für die betriebliche Krankenversicherung sehen wir eine vergleichbare Situation. Natürlich muss die Einführung des Benefits verhältnismäßig sein, es kommt also immer auf die richtige Ausgestaltung an.

5. Und welche weiteren Benefits stehen Arbeitgebern darüber hinaus zur Verfügung?

Roland Horbrügger: Im vorbezeichneten Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist ja schon angeklungen, dass die Einräumung von zusätzlichem Erholungsurlaub für ältere Mitarbeitende möglich ist, um dem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Mitarbeitender nachzukommen. Das ist zum Beispiel eine weitere gute Maßnahme.

Christiane Dirr: Daneben kann man aber auch an die Zahlung von Überbrückungs- oder Kompensationsgeldern denken, die als Ausgleich dienen können, wenn beispielsweise eine betriebliche Altersversorgung – aufgrund ihrer Ausgestaltung im Einzelfall – nach Erreichen der Altersgrenze trotz Weiterarbeit nicht mehr bespart werden kann und die Arbeit dementsprechend nicht mehr leistungssteigernd wirkt. Solche Zahlungen können aber auch eine Kompensation dafür sein, dass die Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, und damit die gesetzliche Rente trotz Weiterarbeit nicht mehr steigt.

Weitere Einblicke ins Thema erhalten Sie zudem in unserem aktuellen Studienreport „Längere Lebensarbeitszeit – nein danke. Betriebliche Altersversorgung – ja bitte.“, den Sie hier kostenlos herunterladen können.

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Roland Horbrügger
Principal | Legal Consulting | Aon
+49 208 7006 1467

Christiane Dirr
Aktuarin DAV/IVS | Principal | Aon
+49 711 96030-1012

Ein Kommentar

  1. toller Artikel, das Thema ist nun sichtbar angekommen und es gibt erste kommunizierbare Lösungsansätze. Viel Erfolg – ich wünsche die auch für unsere Aon Kollegen.
    Ich habe noch einen alten Arbeitsvertrag mit zusätzlichen Urlaub die letzten drei Jahre vor Rentenbeginn und hoffe für die Kollegen, dass dies auch wieder zukünftig kommen wird.
    Euch viel Erfolg

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