Mehrparteien-Vertragsmodelle bei komplexen Bauprojekten sind auf dem Vormarsch (IPA)

Lesezeit: 6 Minuten

Seit wenigen Jahren laufen erste Pilotprojekte mit „partnerschaftlichen IPA-Vertragsmodellen“ (IPA = Integrierte Projektabwicklung, gelegentlich ist auch von „Partnering“ oder „Design & Build“ die Rede), die in Fachmedien als Lösung für „Kostenexplosion“, „Terminchaos“, Rechtsstreitigkeiten und andere Probleme bei komplexen Großprojekten gepriesen wurden.

Dass die Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten in einem Team mit der Ausrichtung auf gemeinsam definierte Projektziele ein Erfolgsfaktor ist, ist zunächst eine Binsenweisheit und gilt auch für konventionelle Projektstrukturen. Freilich lässt sich nicht bestreiten, dass die in Deutschland verbreiteten zweiseitigen Verträge mit zahlreichen Baubeteiligten häufig zu Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern führen. Von Design & Build-Modellen versprechen sich die Befürworter mehr Klarheit beim Bau-Soll sowie insbesondere höhere Kostensicherheit. Diese soll durch ein „Prinzip der gläsernen Taschen“ erreicht werden, mit dem sich alle anfallenden Kosten und Selbstkosten abrechnen lassen. Dadurch, dass die Vergütung für den Bauherrn transparent ist, sollen die Konflikte bei Leistungsänderungen und die damit verbundenen Nachträge erheblich reduziert werden. Falls die Vertragsparteien einen „Garantierten Maximalpreis“ vereinbaren, können nach Vertragsabschluss erzielte Kosteneinsparungen als Optimierungserfolge zwischen ihnen aufgeteilt werden. Das kann auch für einen eventuell vom Bauherrn eingerichteten „Risiko-Topf“ gelten, sofern dieser unangetastet bleibt. 

Im Hinblick auf den Versicherungsschutz erfordern solche Modelle jedoch ganzheitliche Lösungen – zumal bei einzelnen Pilotprojekten sogar von einem Haftungsausschluss für alle Beteiligten die Rede ist. In jedem Fall dürften die Verantwortlichkeiten zwischen Planern und Ausführern verschwimmen, denn ein erklärtes Ziel ist „mehr Ausführungskompetenz in der Planungsphase“. Voraussetzung ist daher eine Allrisk-Projektversicherung, die alle Risiken und Baubeteiligten einschließt – also ein umfassendes Konzept für Risikomanagement und Versicherung von Bauleistung und Anlagenbau.

IPA: Projektversicherung ist Voraussetzung für komplexe Haftungs- und Risikoverteilung

IPA sieht eine gemeinsame Verantwortung für die Zielerreichung vor – und für das damit verbundene wirtschaftliche Ergebnis aller Partner. Architekten und Ingenieure sollten jedoch darauf achten, dass die zugrunde liegenden Mehrparteienverträge keine Vergemeinschaftung der Haftung vorsehen, denn ihr Einfluss auf die Risiken der Bauphase ist gering. So haben auch VBI und TU Berlin kürzlich eine Studie zur IPA aus der Perspektive der Planer erarbeitet, in der diese Sorge thematisiert und der „Notwendigkeit der weiterführenden Klärung von Haftungsfragen besondere Bedeutung beigemessen“ wird.

Grundsätzlich sollte daher  eine auf das Projekt zugeschnittene gemeinsame Versicherung durch den Auftraggeber abgeschlossen werden, welche die Haftungspflichten aller IPA-Partner abdeckt und somit einen Schutzschirm für die Haftungsfälle bildet, die nicht innerhalb der vielfältigen Haftungs- und Risikoregelungen durch die IPA-Vertragspartner abgefangen werden können. Die Haftung der Planer sollte idealerweise auf diese Projektversicherung „gedeckelt“ und ein deren Deckung überschreitender Schaden vom gemeinsamen „Risikotopf“ der IPA-Gemeinschaft getragen werden. Bei aktuellen IPA-Ausschreibungen lässt sich jedoch beobachten, dass die Auftraggeber von den Bewerbern Bestätigungen ihrer Einzelversicherungen anfordern, ohne zu diesem Zeitpunkt Details zu Haftungsklauseln im IPA-Vertrag oder zur vorgesehenen Projektversicherung zu nennen. Gemäß VBI-Studie scheint es eine Eigenart von IPA-Projekten zu sein, dass die konkrete Zuteilung von Leistungen als „Bezugsgröße“ der Haftung einzelner IPA-Partner erst im Rahmen der Zielkostenfestlegung erfolgt oder im Verlauf des Projektes angepasst wird. Aber: das alles macht es für die Berufshaftpflichtversicherer der einzelnen Partner problematisch, einen Versicherungsschutz zu bestätigen. Dafür bieten sich unterschiedliche Lösungen, die aber immer vom Bedingungswerk der kombinierten Projektversicherung abhängt.

Jetzt hat der. 9. Deutsche Baugerichtstag am 12. und 13. Mai 2023 in Hamm diesbezüglich Empfehlungen ausgesprochen. Die Empfehlungen aller Arbeitskreise und der Thesenband (Mehrparteienverträge S. 63-68), stehen hier in elektronischer Form zur Verfügung: Deutscher Baugerichtstag .e.V.

Die AG Mehrparteienverträge hat dabei u. a. folgende Empfehlungen zu Haftungsaspekten beschlossen:

  • In einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) sollte grundsätzlich eine gemeinsame Risikotragung aller Parteien für die Haftung für Fehler vorgesehen werden.
  • Für die Parteien außer dem Bauherrn sollte in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) die Risikotragung auf den jeweiligen vereinbarten individuellen Risikobeitrag begrenzt sein.
  • Für die Begrenzung dieser gemeinsamen Risikotragung in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) kommen die folgenden Kriterien in Betracht:
    • Verschuldensgrad
    • Art des Fehlers (Planung und/oder Ausführung)
  • Zeitpunkt des Auftretens des Fehlers (Vor oder nach Abnahme)
  • Es wird empfohlen, in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) vorzusehen, dass es keine gemeinsame Risikotragung für grob fahrlässige und vorsätzliche Verursachung gibt.
  • Es wird empfohlen, in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) vorzusehen, dass es eine gemeinsame Risikotragung für Aufwendungen für die Beseitigung von Fehlern in der Planung gibt.
  • Es wird empfohlen, in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) vorzusehen, dass es eine gemeinsame Risikotragung für Aufwendungen für die Beseitigung von Ausführungsfehlern aufgrund fehlerhafter Planung gibt.
  • Die Gestaltung des Mehrparteienvertrages im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) muss sicherstellen, dass Ansprüche der Parteien des IPA_MPV gegenüber Dritten wie Auftragnehmern der Projektpartner (z. B. Nachunternehmer) oder Versicherungen trotz der internen Begrenzung der Haftung erhalten bleiben.
  • Hinsichtlich Aufwendungen zur Beseitigung von Ausführungsfehlern, die nicht auf fehlerhafter Planung beruhen, wird empfohlen, in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) über das Ob und das Maß der gemeinsamen Risikotragung projektspezifisch zu befinden
  • Hinsichtlich Aufwendung zur Beseitigung von Fehlern, die nach Abnahme der Bauleistungen auftreten, wird empfohlen, in einem Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) über das Ob und das Maß der gemeinsamen Risikotragung projektspezifisch zu befinden.

Außerdem gelten folgende Empfehlungen allgemeiner Art:

  • Im Bewusstsein, dass die Parteien bei der Umsetzung eines Bauprojekts individuelle Interessen haben, schafft der Mehrparteienvertrag im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) Rahmenbedingungen, damit die Parteien zusätzlich die Erreichung vereinbarter, gemeinsamer Projektziele verfolgen. Daraus resultiert keine gemeinsame Zweckverfolgung im Sinne der Begründung einer BGBGesellschaft.
  • Im Hinblick auf die Akzeptanz durch den Markt wird den am Bau Beteiligten empfohlen, bei der Ausgestaltung von Mehrparteienverträgen im Rahmen der integrierten Projektabwicklung (IPA-MPV) in der Praxis darauf zu achten, dass die werkvertraglichen Elemente dessen Schwerpunkt bilden.
Beitrag teilen

Ansprechpartner

Jochen Scholl
Leiter Öffentlichkeitsarbeit | UNIT Versicherungsmakler GmbH
+49 208 7006-3788

Kommentar verfassen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

elf − 1 =