Kulturelle Intelligenz: Eine unverzichtbare Fähigkeit moderner Führungskräfte

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In Zeiten der immer weiter voranschreitenden Globalisierung gehört die interkulturelle Zusammenarbeit längst zum Arbeitsalltag. Dabei sind es nicht nur Unternehmen unterschiedlicher Märkte, die Geschäfte miteinander abschließen und über räumliche und kulturelle Grenzen hinweg kommunizieren und arbeiten. Auch innerhalb von Organisationen wächst die kulturelle Vielfalt, da zunehmend Fachkräfte anderer Nationalitäten akkreditiert werden. All das wäre undenkbar ohne Kulturelle Intelligenz. So sind auch rund 90 Prozent der Führungskräfte weltweit davon überzeugt, dass Kulturelle Intelligenz heute zu den wichtigsten Führungsqualitäten zählt.

Miho Watanabe besitzt diese Fähigkeit. Seit mehr als 30 Jahren ist sie bei Aon für deutsche und japanische Versicherungskunden zuständig und leitet heute den Bereich Japan Global Solutions (früher: Japan Group). Im Interview gibt sie einen Einblick in ihre Arbeit zwischen zwei Kulturen.

Sie leiten den Bereich Japan Global Solutions bei Aon Deutschland. Was tut diese Abteilung und welche Aufgaben übernehmen Sie in Ihrer Rolle?

Miho Watanabe: Japan Global Solutions operiert weltweit als eine Service Practice Group für japanische Kunden. Diese Kunden betreuen wir in allen Versicherungsbereichen, in denen Aon Serviceleistungen anbietet. Dabei unterstützen wir nicht nur bei der Übersetzung der unterschiedlichen Sprachen. Aufgrund spezieller Geschäftsbeziehungen auf dem japanischen Versicherungsmarkt und die andere Geschäftskultur in Japan, benötigt der Kunde einen ganz spezifischen Service. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden nicht nur die herkömmlichen Leistungen: In unserer eigenen Krankenversicherungsabteilung betreuen wir beispielsweise ca. 3.000 versicherte Personen – hauptsächlich aus Japan und Fernost – in Deutschland und Europa. Damit haben wir deutschlandweit den größten Marktanteil im japanischen Geschäft.

Unser Team in Deutschland besteht aus 26 außergewöhnlichen Spezialisten mit langjährigem Wissen und umfassender interkultureller Erfahrung – darunter auch neun japanische Mitarbeiter. Der Bereich ist aber auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern, den USA, Süd-Amerika, Asien und im Raum Asien-Pazifik vertreten. Dank unseres globalen Expertennetzwerks können wir Kunden hervorragend durch die komplexen japanischen und europäischen Risiken und Versicherungslösungen navigieren.

Als Abteilungsleiterin und Kundenbetreuerin unterstütze ich auch japanische Kunden, die in anderen Abteilungen von Aon betreut werden. Dabei fungiere ich besonders aus interkultureller Sicht als Vermittlerin zwischen japanischen und deutschen Entscheidungsträgern, um die unterschiedlichen Sichtweisen im Entscheidungsprozess zwischen verschiedenen Unternehmenskulturen, Sprachen und versicherungstechnischen Anforderungen in Einklang zu bringen.

Was bedeutet Kulturelle Intelligenz für Sie?

Miho Watanabe: Kulturelle Intelligenz ermöglicht es, kulturübergreifend miteinander in Beziehung zu treten und effektiv zusammenzuarbeiten. Sie beschreibt die Fähigkeit, sich in interkulturellen Situationen agil und angemessen zu verhalten. Eine Fähigkeit, die im Geschäftsalltag unverzichtbar geworden ist: Sie bewahrt uns vor kulturellen Missverständnissen und ermöglicht Vielfalt in und zwischen Unternehmen.

Warum ist diese Fähigkeit für Führungskräfte heute so wichtig?

Miho Watanabe: Zunächst einmal: Führung beschränkt sich nicht nur auf die Führungskräfte. Es geht auch darum, andere Menschen positiv zu beeinflussen, um sich dann gemeinsam in die richtige Richtung zu bewegen. Es geht um eine gute und faire Bewertung und die Anerkennung von Individuen mit unterschiedlichem Hintergrund. Jeder hat individuelle Stärken, bringt Vorteile und Unterschiede mit. Um insbesondere im internationalen Geschäft geeignete Lösungen zu finden, ist es ratsam, die Stärken unterschiedlichster Menschen zu bündeln.

Führungskräfte, die Unterschiede im Geschäftsalltag verstehen und fördern, steigern darüber hinaus langfristig die Motivation im Team und im Unternehmen. Dabei spielen Integrität, Delegationsfähigkeit, Kommunikation, Selbstbewusstsein, Dankbarkeit, Lernfähigkeit, Einfluss und Empathie eine überaus wichtige Rolle.

Welche typischen kulturellen Unterschiede existieren zwischen den Japanern und den Deutschen?

Miho Watanabe: Die deutsche Geschäftswelt ist meiner Meinung nach sehr sachlich – was mir als Japanerin übrigens sehr gut gefällt – während das japanische Geschäft eher auf Beziehungen und Vertrauen ausgerichtet ist. Japaner nehmen sich viel Zeit, um sich persönlich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit spielt bei japanischen Geschäftsabschlüssen eine zentrale Rolle.
Ein weiterer Unterschied ist der Entscheidungsprozess: Im japanischen Geschäft sind zahlreiche Personen und Ebenen an einer Entscheidung beteiligt – auf japanisch nennt man das Nemwashi. In Deutschland hingegen ist der Entscheidungsprozess etwas objektiver und findet hierarchisch statt. Und auch die Geschwindigkeit einer Antwort unterscheidet sich. So ist im japanischen Geschäft ein schnelles Feedback wichtig. Vergeht zu viel Zeit, verlieren die Japaner das Vertrauen in Kunden und Geschäftspartner. Dabei sind Urlaub und Krankheit übrigens keine Entschuldigungen für eine Verzögerung. Für beides wird eine angemessene Vertretung erwartet. In Deutschland ist man da etwas toleranter, wie ich finde.

Die Differenzen scheinen zunächst banal. Doch: Wer sich mit solchen kulturellen Unterschieden auseinandersetzt und sie versteht, kann Missverständnissen vorbeugen und eine mögliche Gefährdung des Geschäfts vermeiden.

Kann man Kulturelle Intelligenz lernen?

Miho Watanabe: Kulturelle Intelligenz basiert auf Erfahrung und Beobachtung. Alles, was es braucht, ist Offenheit, Empathie, den Willen, andere Menschen besser zu verstehen und Unterschiede zu akzeptieren. Dabei ist es wichtig, mit den richtigen Worten zu kommunizieren und überzeugend aufzutreten, ohne dabei unsicher oder zurückhaltend zu sein. Das ist zu Beginn nicht einfach und erfordert Mut, Geduld und Zuversicht. Ich ermutige meine Mitarbeiter im Team aber immer wieder, sich selbst auszuprobieren, nach eigenem Gefühl zu kommunizieren, Erfahrungen zu sammeln und – ganz wichtig – auch durch Fehler zu lernen.

Erschwert die aktuelle Corona-Situation interkulturelle Zusammenarbeit?

Miho Watanabe: Definitiv. Interkulturelle Zusammenarbeit lebt schließlich vom persönlichen Kontakt. Es ist schade, dass dieser aktuell nur digital möglich ist. Wie bereits erwähnt, spielt das persönliche Kennenlernen und Vertrauen im japanischen Geschäft eine wichtige Rolle. Besonders im Neukundengeschäft ist es daher eine Herausforderung, eine vertrauensvolle Beziehung über ein Web-Meeting aufzubauen.

Und auch für die persönliche Entwicklung ergeben sich Nachteile. So fällt im Homeoffice ein wichtiger Baustein der Kulturellen Intelligenz weg: Die Beobachtung. Denn Menschen eignen sich Wissen und Fähigkeiten oft ganz unbewusst an, so zum Beispiel beim unterbewussten Zuhören des Telefonats einer Kollegin.

Welche Leistungen bietet Aon Japan Global Solutions Kunden in diesem Bereich?

Miho Watanabe: Wir bieten japanischen Kunden, und zwar sowohl großen globalen Unternehmen als auch SME, alle Versicherungssparten an. Darüber hinaus gibt es in unserer Abteilung ein eigenes Team für die private Krankenversicherung, das sich ausschließlich um asiatische Expats und ihre Familien kümmert und den Service in mehreren Sprachen anbietet.

Im Hauptgeschäftsbereich koordinieren wir die Kundenbedürfnisse häufig in Abstimmung mit den japanischen Versicherern, die mit dem Hauptsitz des Kunden in Japan verbunden sind. Da Japan ein einzigartiger, nicht zugelassener Markt ist, in dem die Inhouse-Agentur immer noch stark im Inlandsgeschäft tätig ist, arbeiten wir hin und wieder mit den Inhouse-Agenturen in Japan zusammen. In diesem Bereich haben wir in Deutschland einen großen Marktanteil.

Unternehmen, die sich Unterstützung oder Koordination im Bereich deutsch-japanischer Geschäfte und Versicherungslösungen wünschen, können sich jederzeit an das Japan Global Solutions Team von Aon Deutschland wenden. Insbesondere die andauernde Krisensituation stellt viele Geschäftsbeziehungen vor eine Herausforderung. Miho Watanabe und ihr Team beraten und unterstützen Sie gerne bei Ihrer interkulturellen Zusammenarbeit.


Zur Person:

Miho Watanabe arbeitet seit 1990 bei Aon Deutschland und kennt die kulturellen Unterschiede als gebürtige Japanerin wie ihre eigene Westentasche. An der deutschen Arbeitsweise gefällt ihr besonders die Sachlichkeit. Ihr Heimatland und ihre dort lebende Familie besucht sie regelmäßig und weiß, dass ihre Landesgenossen sie am meisten für die Autobahn beneiden. Und was fehlt ihr an den japanischen Bräuchen? „Im Geschäftsalltag ist das auf jeden Fall unsere Servicekultur. Denn überall in Japan existiert eine unglaublich schnelle, pünktliche und freundliche Servicekultur, für die man nicht extra zahlen muss und die man in Europa möglicherweise nicht immer erlebt. Während es in Deutschland „der Kunde ist König“ heißt, gilt für die Japaner „der Kunde ist Gott“.  Für uns als japanisches Business-Team in Deutschland kann dies schon mal eine große Herausforderung sein, wenn es darum geht, Kundenerwartungen zu erfüllen. Ich habe mich aber mittlerweile auch stark an die deutsche Kultur gewöhnt und sie sehr zu schätzen und lieben gelernt“, erzählt sie.

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Kontakt aufnehmen

Miho Watanabe
Managing Director – Japan Global Solutions (Germany)
+ 49 40 3605-3159

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