Markt-prognose 2023

Der deutsche Versicherungsmarkt

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Editorial

Blick nach vorne

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Ukraine-Krieg, Pandemie, Inflation und Energieknappheit haben die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen auf eine harte Probe gestellt und die Schwächen der globalisierten Wirtschaft offenbart. Doch jede Krise bietet immer auch eine Chance, Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren. In Zukunft werden deshalb viele Unternehmen ihre Lagerhaltung erhöhen und Sicherheitspuffer in ihre Lieferketten einbauen. Darüber hinaus wird die Produktion wichtiger Waren – wie Nahrungsmittel, Textilien und pharmazeutischer Produkte – zurück nach Deutschland verlagert. So können Versorgungsengpässe vermieden und Abhängigkeiten reduziert werden.

Im Rahmen solcher Überlegungen werden immer auch Forderungen laut, Handelsbeziehungen an Menschenrechtsfragen, sozialen Standards und Nachhaltigkeitskriterien auszurichten. In den vergangenen Jahren hat die EU verschiedene Gesetze mit ESG-Bezug beschlossen. Nun ist ein bedeutendes dazugekommen: das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Das Gesetz fordert Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden aller Branchen auf, verschiedene Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in der Lieferkette umzusetzen. Die Auswirkungen auf die Prozesse der Unternehmen sind tiefgreifend. Mittelfristig allerdings wird die verpflichtende Risikoanalyse Unternehmen dabei unterstützen, bestehende Abhängigkeiten und konkrete Risiken besser zu identifizieren und mögliche Lieferausfälle zu antizipieren.

Die weltpolitischen Verschiebungen haben auch dazu geführt, dass die europäischen Regierungen die Energiewende beschleunigen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Für Unternehmen ist Klimaschutz essenziell – denn mittelfristig droht der Klimawandel die Geschäftstätigkeiten massiv zu beeinträchtigen. Doch mit dem Verzicht auf russisches Öl und Gas und dem schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien wächst der Einfluss Chinas. Chinesische Unternehmen sind bei der Herstellung von Wind- und Solaranlagen weltweit führend. Diese Abhängigkeit von China wird immer stärker zu einem Risikofaktor für die europäische Energiesicherheit und damit für die Realisierung der Energiewende. Deshalb gibt es nun Überlegungen, den Wiederaufbau der Ukraine an ein Konjunkturpaket zu knüpfen, das sich an ökologischer Nachhaltigkeit orientiert. Die Ukraine könnte durch den Aufbau einer eigenen Industrie für Solarzellen und Windturbinen zum attraktiven Produktionsstandort in Europa werden. Dafür hat das Land gute Voraussetzungen. Seit 2008 sind in der Ukraine zahlreiche Solar- und Windparks und viel Know-how entstanden.

Deutsche Unternehmen sollen beim Wiederaufbau der Ukraine eine entscheidende Rolle spielen. Doch noch gibt es eine große Zurückhaltung. Das liegt auch an fehlenden Versicherungslösungen. Denn so lange die Kampfhandlungen in der Ukraine anhalten, haben Unternehmen nur die Möglichkeit, teure Kriegsdeckungen abzuschließen. Die Versicherungswirtschaft ist gefordert, die mit der sogenannten Zeitenwende verbundenen Risiken vorausschauend zu identifizieren und zu bewerten. Die bisherige Kumulkontrolle führt zu immer stärkeren Reduzierungen von Einzelkapazitäten und zu hohen Preisen. Nur durch einen engen Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Versicherungsindustrie kann die digitale und ökologische Transformation gelingen, die uns in Europa auf Dauer Freiheit, Sicherheit und Wohlstand garantiert.

Viel Spaß beim Lesen.

Hartmuth Kremer-Jensen

Chief Broking Officer D-A-CH | Deputy CEO Germany

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Marktprognose die Sprachform des generischen Maskulinums verwendet, soweit nicht durch eine geschlechterneutrale Formulierung vermeidbar. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist. Dies soll keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.