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ESG – welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus dem „E“?
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ESG – welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus dem „E“?
Den entscheidenden Impuls für die Energiewende in Deutschland gab die Atomkatastrophe von Fukushima 2011. Damals wurde der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. 2020 vereinbarte die Bundesregierung dann auch den Kohleausstieg. Um diese beiden bedeutenden Energiequellen mittelfristig zu ersetzen, mussten Alternativen her. Daher beschloss das Bundeskabinett im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) mit dem Ziel, auf Basis der Wasserstofftechnologie den CO2-Ausstoß in den Bereichen Industrie, Verkehr und Energie deutlich zu senken.
Für den durch die Energiewende erforderlichen Umbau der Energieerzeugung sind umfangreiche Investitionen nötig. Zum einen müssen erneuerbare Energieerzeuger wie Offshore- und Onshore-Windparks und Photovoltaikanlagen ausgebaut werden, zum anderen braucht es massive und schnelle Investitionen für den Aufbau von Speicherkapazitäten und den Netzausbau. Erneuerbare Energien sind volatil: In sonnenscheinarmen Phasen und bei Windflauten wird wenig Strom produziert. Deshalb benötigen Wind- und Sonnenenergie Stromspeicher, die eine durchgängige Energieversorgung sicherstellen. Der Aufbau von großen Kapazitäten zum Speichern von Strom und der Ausbau leistungsfähiger Übertragungsnetze, um den vor der Küste erzeugten Offshore-Strom vom hohen Norden in die industriellen Zentren im Süden Deutschlands zu transportieren, sind die Nadelöhre der Energiewende. Gleichzeitig wird auch der Umbau von einer kohlenstoffbasierten Industrie zu einer Wasserstoffwirtschaft Investitionen in bisher nicht gekannten Dimensionen erfordern. Der gesellschaftliche und politische Diskurs über die Erreichung der Klimaziele hat dazu geführt, dass sich eine Reihe multinationaler Versicherungsgesellschaften einen ESG-Leitfaden gegeben haben. Darin definieren die Versicherer unter anderem auch, wie sie den Kohleausstieg begleiten möchten. Einige Gesellschaften sind beispielsweise umgehend aus der Versicherung von Kohlekraftwerken ausgestiegen. Allerdings müssen Energieversorger, die neben Kohle auch andere fossile Brennstoffe oder erneuerbare Energien zur Stromproduktion verwenden, bis zum Ausstieg weiterhin Versicherungsschutz erhalten können.
Neben dem Energiesektor sind auch der Verkehrssektor, der Wohnungsbau und die gesamte Industrie zu einer Wasserstoffwirtschaft zu transformieren. Diese Transformation erfordert eine kontinuierliche technologische Weiterentwicklung. Bei vielen technischen Anwendungen, wie beispielsweise der Wasserstoffherstellung oder der Stromübertragung, ist ein Upscaling notwendig, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Gerade das Upscaling oder die Entwicklung neuer Technologien sind für die Industrie, aber auch für die Versicherungswirtschaft sehr herausfordernd.
Die Versicherer müssen eine umfassende Risikobewertung vornehmen und dabei beispielsweise in der Lage sein, neue Technologien (Prototypen) von technischen Weiterentwicklungen zu unterscheiden. Die Ergebnisse der Analyse können für den zur Verfügung gestellten Deckungsumfang und die gebotenen Kapazitäten entscheidend sein – und zwar nicht nur für die Planungs- und Errichtungsphase, sondern auch für die Deckungen der späteren Betriebsphase. Die unterschiedlichen Techniken, Anlagen und Projekte zu verstehen und einen adäquaten Risikotransfer zu organisieren, stellen für alle Beteiligten – Versicherer, Makler und Kunde – eine zunehmend große Herausforderung dar. Wie in der gesamten Wirtschaft ist auch in der Versicherungsbranche ein zunehmend hoher Fachkräftemangel zu beklagen. Insbesondere in Spezialbereichen, wie den Technischen Versicherungen, führt das zu grundsätzlichen Problemen wie z. B. Verzögerungen in Underwriting und Renewal. Gleichzeitig steigt gerade bei komplexen Risiken die qualitative Anforderung der Projekt- und Risikoaufbereitung erheblich. Das Jahr 2023 wird allen Marktteilnehmern deutlich vor Augen führen, in welchen (Spezial-) Bereichen es umfangreiches technisches und fachliches Know-how und ausreichende Deckungskapazitäten gibt und wo sich bereits Engpässe abzeichnen.
Michael Wolter
Managing Director Engineering