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Viele Betriebe kommen beim Hilfspaket zu kurz – Interview mit Ole von Beust
Staatliche Kredite zur Existenzsicherung sind wichtig, helfen vielen mittelständischen Unternehmen allein aber nicht weiter. Sie benötigen ergänzende Fördermittel von Ländern und Kommunen. Das sagt Ole von Beust mit Blick auf das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket, mit dem die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft kurzfristig und nachhaltig in Schwung bringen will. Der frühere Bürgermeister von Hamburg ist heute als Rechtsanwalt tätig und Mitglied im Aon Beirat. In unserem Blog erklärt er, welche Chancen die Krise durch die zunehmende Digitalisierung bietet und warum synthetische Kraftstoffe bei der Energiewende eine große Rolle spielen werden.
Herr von Beust, setzt das Konjunkturpaket die richtigen Impulse?
Von Beust: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung enthält viele gute Maßnahmen. Lassen sich mich drei herausheben: Die zeitweilige Senkung der Mehrwertsteuer kurbelt den Konsum an, erzeugt damit Nachfrage, die dafür sorgt, dass mehr produziert wird und die Wirtschaft wieder anläuft. Zweitens, der Kinderbonus schafft einen sozialen Ausgleich bei einkommensschwachen Haushalten und drittens die Energiewende bekommt eine neue Dynamik.
Sind die Maßnahmen ausgewogen oder kommen bestimmte Bereiche zu kurz?
Von Beust: Die Maßnahmen wirken teils wie mit der Gießkanne verteilt, aber vielleicht war das nicht anders möglich. Zu kurz kommen viele kleine und mittelständische Unternehmen, beispielsweise aus der Hotel- und Tourismusbranche ebenso wie Veranstalter, Gastronomiebetriebe und deren Zulieferer. Sie profitieren von den Steuererleichterungen kaum bis gar nicht, bangen aber derzeit um ihre Existenz. Hier bedarf es eines Ausgleichs, der ergänzend zum Konjunkturpaket auf Ebene der Bundesländer und Kommunen geschaffen werden müsste.
Wie könnte dieser Ausgleich aussehen?
Von Beust: Die bisherigen Hilfsprogramme des Bundes und der Länder basieren bis auf wenige Ausnahmen auf Krediten. Das ist vom Grundsatz her zwar richtig, weil der Staat das Geld nicht nutzlos verschenken sollte. Auch aus meiner anwaltlichen Tätigkeit heraus kenne ich viele Unternehmen, die darüber klagen, dass die Nachfrage zu langsam anläuft. Erhalten die Betriebe jetzt Kredite zur Existenzsicherung, führen diese zu weiteren Belastungen, die es ihnen in der Zukunft erschweren, dann notwendige Investitionen durchzuführen. Deshalb wären hier Fördermittel im Sinne eines Zuschusses oder Kredits „light“ wichtig, die eine spätere Rückzahlung bei guter Geschäftsentwicklung vorsehen könnten.
Stichwort Energiewende. Hier setzt das Konjunkturpaket auf eine erhöhte Kaufprämie für Elektroautos, die Absenkung der EEG-Umlage und eine umfassende Wasserstoffstrategie. Sind das die richtigen Maßnahmen für eine nachhaltige zukunftsweisende Energiewende?
Von Beust: Die Ideen und Maßnahmen finde ich richtig, aber sie greifen zu kurz. Zwei Beispiele: Die Kaufprämie hilft zwar, die hohen Verkaufspreise von Elektroautos abzusenken. Der zweite Grund, warum diese Fahrzeuge zu wenig gekauft werden, ist aber die enorm lückenhafte Versorgungssituation sowohl beim öffentlichen Tankstellen-Netz als auch an den Heimatstandorten der Fahrzeughalter. Wer außerhalb von Ballungszentren wohnt oder oft lange Strecken fährt, wird sich daher vermutlich kein E-Auto kaufen, ganz gleich wie hoch die Kaufprämie ausfällt. Beides muss also Hand in Hand gehen.
Und zweitens?
Von Beust: Die Wasserstoffstrategie ist eine sehr gute Sache, aber sie sollte auch die Nachfolgetechnologien einbeziehen. Fahrzeuge lassen sich zwar mit Wasserstoff antreiben, doch starke Verflüchtigungen beim Transport stellen die technische Entwicklung vor Probleme. Daher muss es auch das Ziel sein, aus Wasserstoff besser transportierbare Kraftstoffe herzustellen. Synthetisches Benzin ist ein solcher Kraftstoff, der als Beimischung in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren getankt werden kann. Solche Nachfolgetechnologien sind noch nicht so im Fokus der Politik. Aber ich denke, dass sie eine große Rolle spielen werden, um die Energiewende schnell und dauerhaft durchzusetzen.
Bei der Verbrennung von synthetischem Benzin wird doch auch CO2 freigesetzt?
Von Beust: Richtig, aber synthetisches Benzin wird – vereinfacht ausgedrückt – aus der Verbindung von regenerativ hergestelltem Wasserstoff und Luft, die CO2 enthält, gewonnen. Unterm Strich fällt die CO2-Bilanz damit neutral aus. Elektromobilität, sofern sie aus grüner Energie gewonnen wird, ist zwar besser, weil überhaupt kein CO2 anfällt. Aber wir sollten bedenken, dass in den nächsten 20 Jahren überwiegend Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf unseren Straßen fahren werden, vom Schwerlastverkehr ganz zu schweigen.
Krisen beinhalten auch Chancen. Wie nehmen Sie die zunehmende Digitalisierung wahr?
Von Beust: Deutsche tun sich mit neuen Technologien relativ schwer. Ich kann das durchaus nachvollziehen, denn mir geht es mitunter auch so. Durch den Lockdown waren viele gezwungen, neue Technologien gerade im Kommunikationsbereich anzuwenden und haben dann gemerkt, dass es doch besser geht als gedacht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auf diesem Feld starke gesellschaftliche Veränderungen geben wird.
Welche Bereiche sind davon besonders betroffen?
Von Beust: Unternehmen, gerade im Dienstleistungssektor, haben erkannt, dass sie viele Tätigkeiten auch auf digitalen Wegen leisten können. Folglich wird das Homeoffice zukünftig von erheblich größerer Bedeutung sein. Auch im industriellen Bereich werden die emotionalen Vorbehalte gegen die Digitalisierung nachlassen und die Prozesse erst richtig ins Rollen bringen. Neue Märkte werden in Bereichen, wie der Medizin, der Konferenztechnik und im Messewesen entstehen. Andere Bereiche werden künftig eine geringere Rolle spielen. Im Ergebnis wird sich Deutschland von diesen Prozessen nicht abkoppeln können, weil sie international viel weiter vorangeschritten sind. Da wir hier stark zurückliegen, werden die Veränderungen der deutschen Wirtschaft insgesamt guttun.
Sie hatten von den Existenzsorgen im Mittelstand berichtet. Kann die Wirtschaft bei einem erneuten Pandemie-Ausbruch künftig besser geschützt werden?
Von Beust: Es gibt Überlegungen der Versicherungswirtschaft, unterstützt durch Aon, dass die Versicherungsgesellschaften gemeinsam mit dem Staat ein Fondsmodell schaffen könnten, dass kleinen und mittleren Unternehmen eine Absicherung ihrer laufenden existenziellen Grundkosten wie Miet-, Energie- und Leasingkosten im Krisenfall ermöglichen würde. Denn staatliche Hilfen in Form von Kurzarbeitergeld und Krediten helfen wie gesagt nicht weiter. Aktuell gibt es Bemühungen, hierüber ins Gespräch zu kommen, um im Dialog den Prozess zu starten.