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Die Ukraine-Krise verändert die Risikolandschaft im deutschen Versicherungsmarkt

Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine änderte sich am 24. Februar 2022 das Leben der Menschen in der Ukraine dramatisch. Zugleich verschob sich die geo- und sicherheitspolitische Landschaft in Europa und weltweit in einem seit 1989 nicht mehr da gewesenen Ausmaß. Die Auswirkungen auf die Absicherung von Unternehmensrisiken sind enorm.

Marktsituation

Die Folgen des Ukraine-Konflikts für global und national agierende Unternehmen sind massiv. Unternehmensleiter müssen wirtschaftliche und politische Risiken täglich neu bewerten. Auf dieser Basis werden dann Entscheidungen für den Geschäftsbetrieb von teils enormer Tragweite getroffen.

Traditionell etablierte Instrumente von Risikobewertung und -transfer verändern sich im Rahmen der Ukraine-Krise. Ob und in welchem Maß Risiken versicherbar sind, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören unter anderem Sanktionen, die Art und Belegenheit des Risikos, der Aufbau internationaler Versicherungsprogramme, die Reichweite und Auslegung von Versicherungsbedingungen und -ausschlüssen sowie die lokale Präsenz eines Unternehmens, Versicherers und Maklers einschließlich der Erlaubnis und faktischen Möglichkeit zur Bearbeitung lokaler Schäden. Bereits diese Aufstellung legt nahe, dass allgemeingültige Aussagen zur Einschätzung und Versicherbarkeit von Unternehmensrisiken nahezu unmöglich sind.

Aus Maklersicht ist es daher wichtig, die unterschiedlichen Risikoaspekte eines Unternehmens im Zusammenspiel zu bewerten. Lösungen gilt es dann unter Trennung der Sparten und auf fundierter Datenbasis – insbesondere aber unter Einbezug des lokalen Versicherungsschutzes – jeweils individuell zu gestalten.

Ausblick

Die Auswirkungen des Konflikts für deutsche Unternehmen hängen immer von der Branche, Struktur und internationalen Ausprägung ihres Geschäftsbetriebes ab.

  • So kann z. B. die Lieferung bestimmter Waren, die für friedliche, aber auch militärische Nutzung einsetzbar wären (sog. „dual use“), nach Russland oder Belarus sanktionsbedingt unzulässig sein.
  • Andere Unternehmen haben hingegen auf freiwilliger Basis ihren Geschäftsbetrieb in Russland eingestellt und gehen damit vielfach noch weiter als die Regierungen mit den Sanktionen.
  • Weitere Unternehmen halten ihren Geschäftsbetrieb in Russland und/oder der Ukraine aufrecht, z. B. aufgrund laufender vertraglicher Verpflichtungen, vereinbarter Projekte oder um ihre Anlagen instand zu halten.

Es liegt auf der Hand, dass jede dieser Konstellationen andere Auswirkungen auf die Risikobewertung und den gebotenen Versicherungsschutz eines Unternehmens hat.

Nachdem die meisten internationalen Versicherer und Makler ihren Geschäftsbetrieb in Russland eingestellt haben, gibt es bereits deutliche Folgen für die Gestaltung des internationalen Versicherungsschutzes. Vielen Unternehmen wird künftig lediglich die Absicherung russischer Risiken über russische Versicherer verbleiben. Nach dem russischen Verbot der Rückversicherung in unfreundlichen Staaten („unfriendly states“) bestehen aus Sicht eines deutschen Unternehmens im Hinblick auf Reichweite der Deckung, Zuverlässigkeit der Regulierung und finanzielle Stabilität des Versicherers zwar viele Unsicherheiten gegenüber einer solchen Lösung. Dennoch kann die Absicherung über russische Versicherer aber eine Option sein, etwa im Bereich von Pflichtversicherungen oder wenn Geschäftspartner Nachweise über einen lokalen Versicherungsschutz verlangen.

In deutschen Policen treffen einige Versicherer bereits Maßnahmen, deren Folgen Kunden beachten sollten. Hierzu zählen beispielsweise die Kündigung von Kriegs- oder Beschlagnahmeklauseln, die Einführung neuer Kriegsausschlüsse oder Territorialklauseln, nach denen dann generell für bestimmte Regionen kein Versicherungsschutz mehr bestehen würde.

Entwicklung der Inflation nach Ländern

2020 – 2023

* Prognose

Quelle: Moody´s Global Macro Outlook 2022-23 (Update März 2022), zitiert nach Versicherungswirtschaft

Markttrends

Die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf den Versicherungsmarkt sind differenziert zu betrachten:

Weltweit gehen die Einschätzungen über versicherte Schäden auseinander und reichen von etwa 15 Mrd. Euro bis 32,5 Mrd. Euro (Standard & Poor’s). Für den deutschen Versicherungsmarkt ist das Prämienvolumen der vornehmlich betroffenen Sparten jedoch mit weniger als 5 Prozent am Gesamtmarkt gering. Zu den betroffenen Sparten zählen hierzulande insbesondere Transport, Schifffahrt, Luftfahrt, Kredit und Cyber. Außerdem liegt ein Großteil der Risiken außerhalb Russlands, Belarus’ und der Ukraine. Entsprechend werden die Auswirkungen derzeit als überschaubar angesehen.

Beachtlich dürften allerdings die mittelbaren Folgen des Konflikts für Versicherer sein: Denn die noch vorherrschenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, Lieferkettenbeschränkungen und steigende Energiepreise wirken zeitgleich spürbar auf die Inflationsraten. In der Folge dürfte die Abwicklung der ohnehin hohen Sachschäden für die Versicherer bald noch teurer werden.

Auf der Kapitalseite müssen Versicherer voraussichtlich mit hohen Abschreibungen auf Investments in z. B. russische oder ukrainische Staats- oder Unternehmensanleihen rechnen. Mögliche Zinserhöhungen können zudem zu Abwertungen in den Anleiheportfolios der Versicherer führen. Diese Lage betrifft insbesondere Rückversicherer. Ob Nachreservierungen für bestehende Schadenrückstellungen erforderlich sind, wird unterschiedlich bewertet und dürfte auch von Ausmaß und Dauer der Inflation abhängen.

Angesichts der weiterhin dynamischen Entwicklungen ist eine verlässliche Aussage zu den Folgen für deutsche Versicherungsnehmer anspruchsvoll. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Versicherer weiterhin versuchen werden, ein möglichst striktes Underwriting zu betreiben, um in der Kernsparte ihres Geschäfts profitabel zu bleiben. Ob schadenausgleichende Prämienerhöhungen Bestandteil dessen sein werden, bleibt abzuwarten. Dagegen spricht zumindest, dass nach statistischer Betrachtung der vergangenen Jahre die Spitze der Erhöhungswelle bei Prämien eigentlich bereits überschritten sein sollte.