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Sachversicherung
Keine Erholung in der Sachversicherung zu erwarten
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Sachversicherung
Keine Erholung in der Sachversicherung zu erwarten
Naturgefahren, Inflation, infektiöse Lieferketten und geopolitische Risiken im Zentrum der Herausforderungen
Einem Übergang in eine Weichmarktphase mangelt es an nachhaltig positiven Ergebnissen, aber dem industriellen Sachversicherungsmarkt 2022 wird es an Überraschungen nicht fehlen. Der Konvergenz der Versicherer in der Risikobewertung und -selektion steht eine bisher nie da gewesene Divergenz in der Preisgestaltung gegenüber. Eine veränderte Risikolandschaft lässt Vielfalt und Komplexität von deckungsrelevanten Themen entstehen, die neben der Frage zur Entwicklung des Preises und der Kapazitäten einen gewichtigen Anteil in der Vertragserneuerung einnehmen werden und müssen.
Marktsituation
Das dritte Jahr der Sanierung durch die Versicherer endet in Deutschland mit einer Schadenkostenquote von 174 Prozent im Markt, der bisher höchste Wert in den 2000er-Jahren (siehe Grafik 1). Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben Feuergroßschäden ist insbesondere Sturmtief „Bernd“ zu erwähnen, welches bei einigen Versicherern bis zur Hälfte des Gesamtschadenaufwandes verursacht hat. Das bisher teuerste Naturgefahrenereignis in Deutschland hinterlässt Spuren im Erst- und Rückversicherungsmarkt (siehe Grafik 2). Aufgrund der außergewöhnlichen Höhe und Intensität der Schäden tritt die Frage nach der Wiederkehrperiode und der zukünftigen Dimension solcher Kumulereignisse in den Fokus der Versichererbetrachtung. Die Einschätzung und Antwort dieser Frage bestimmt auch, inwieweit und in welcher Form die Versicherer ihre Preis- und Zeichnungspolitik 2022 und darüber hinaus ausgestalten.
Der mit der Klimaveränderung einhergehende Anstieg der Schadenaufwendungen durch Naturgefahren zeigt sich auch im internationalen Kontext. Weltweit wurde in den letzten fünf Jahren viermal der Schwellwert von 100 Mrd. US$ überschritten (siehe Grafik 3). In den zehn Jahren davor war dies nur einmal der Fall. Auffallend sind die sogenannten sekundären Naturgefahren wie z. B. Dürre, Waldbrand und Überschwemmungen, welche aktuell einen dominierenden Anteil ausmachen. Auch für die Zukunft ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Schadenkostenquote in der Sachversicherung
von 2005 bis 2022
* Hochrechnung
Quelle: GDV-Branchenstatistik inländisches Direktgeschäft, gerundete Quoten

Ausblick
Wer einen Sachversicherungsmarkt erwartet, zu dem ein transparentes und einheitliches Bild gezeichnet werden kann und der zudem Erholung in den Verhandlungen mit den Versicherern mit sich bringen soll, muss (noch) enttäuscht werden. Eine solche Situation wird vorerst nicht eintreten, dem Übergang in eine Weichmarktphase fehlt es an nachhaltig positiven Ergebnissen, sodass weiterhin eine strenge Risikobewertung und -selektion vorherrschend sein wird. Reduzieren einige Versicherer ihre Mehrprämienforderung bei schadenunauffälligen Kunden deutlich und sind bei positiver Schaden- und Risikosituation teilweise auch zu unveränderten Vertragsfortführungen bereit, verbleiben andere Versicherer im Sanierungsmodus, was insbesondere das Segment des Middle Market stärker treffen wird als bisher. Vorhersagen zum Preis lassen sich stärker als bisher am Segment und den jeweiligen Versicherern des Konsortiums ablesen und werden auch durch steigende Versicherungssummen infolge der Inflation bestimmt. Der aufkommende Wettbewerb im Markt wird darüber entscheiden, ob jede Höhe von Prämienforderungen ohne Konsequenzen für das Vertragsschicksal bleibt.
Die weitere Entwicklung bleibt spannend, insbesondere dort, wo Kunden konsequent an der Verbesserung des Risikos gearbeitet haben und so die Preisdivergenz im Markt vorteilhaft für sich nutzen können.
Für die Versicherer wird die Bestandssicherung im Rahmen der Sanierung wieder wichtiger werden – Preisdynamik und Umsetzungsdruck nehmen daher grundsätzlich ab, der industrielle Sachversicherungsmarkt bleibt aber sehr schaden- und ergebnissensitiv.
Sowohl das Marktumfeld als auch das Zeichnungsverhalten der Versicherer werden dafür sorgen, dass der Wunsch des Kunden nach alternativen Risikofinanzierungselementen auch in Zukunft bestehen bleibt. Mut zur Veränderung kann hier die Emanzipation vom Marktzyklus erhöhen.
Markttrends
Neben einer weiter andauernden Hartmarktphase nimmt die Veränderungsgeschwindigkeit der Risikolandschaft rapide zu. Dabei fällt auf, dass die damit verbundenen Herausforderungen den Umstand teilen, dass sie Versicherer als auch Kunden gleichermaßen treffen. Der Trend steigender Schäden durch klimatologische Gefahren ist hier nur ein Element und hat mit Sturmtief „Bernd“ eindringlich daran erinnert, dass auch in Europa die Naturgefahren und insbesondere Starkregen/Überschwemmung in Zukunft eine noch dominantere Rolle einnehmen werden, auch wenn die USA der schadenprägende Hotspot für Naturgefahren jeglicher Art bleiben.
Neu ist, dass der Grad der Globalisierung abnimmt und ein Umdenken bei Staaten und Unternehmen einfordert. Neben den Covid-19-Lockdowns ist der Krieg in der Ukraine sowohl unmittelbare Herausforderung als auch Ursache für weitere aktuelle Problemfelder wie Inflation und Lieferkettenproblematiken. Dies gilt es bei der Vertragserneuerung im Fokus zu haben, da eine sachgerechte Lösung deckungsrelevant ist.
Dasselbe gilt für weitere Diskussionspunkte, die infolge des Krieges in der Ukraine entstehen und die in die Fragen münden, wie die Säulen Umwelt und Soziales im Kontext ESG in Einklang zu bringen sind, in welchem Umfang Versicherungsschutz für Länder wie beispielsweise Russland überhaupt noch sichergestellt werden kann und welche Gefahren mit einem möglichen Lieferstopp von Gas bei Unternehmen einhergehen. Die Diskussionen mit den Versicherern hierzu sind anhängig.
Das Marktumfeld bleibt weiter anspruchsvoll. Die Anforderungen an die Qualität der Risikoberatung und des eigenen Risikomanagements der Unternehmen werden in Zukunft stetig wachsen und müssen sicherstellen, alle Entwicklungen unter dem Blickwinkel der Unternehmenserhaltung intensiv zu beleuchten.
Schadenaufwendungen durch Naturgefahren in Deutschland
Top 10 der As-if-Rechnung bei 100 Prozent Versicherungsdichte 2020 für die Sach-Kumulereignisse von 2002 bis 2021
Quelle: GDV; * Prognose, Stand Dezember 2021
Schadenaufwendungen durch Naturgefahren weltweit
von 2015 bis 2021
Quelle: Aon Catastrophe Insight, 6 January 2022