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Brennpunkt Ukraine: Was bedeutet der Krieg für die Versicherungsbranche?
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Brennpunkt Ukraine: Was bedeutet der Krieg für die Versicherungsbranche?
Seit Tagen ist es das Thema in sämtlichen Medien weltweit: Die Ukraine-Krise. Die Folgen sind aktuell nicht absehbar, was für eine große Unsicherheit bei Unternehmen sorgt. Auch wir bei Aon können derzeit nicht sagen, mit welchen Auswirkungen die Versicherungsbranche rechnen muss. Die Aon Experten können lediglich eine vorsichtige Einschätzung der Situation für ihre Sparte zum jetzigen Zeitpunkt liefern. Ein Überblick:
Cyber
Ein Diskussionsthema im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise ist das damit einhergehende Risiko von Cyberangriffen, die unter anderem von staatlich unterstützten Akteuren (sog. state sponsered actors) oder sogar von lose koordinierten Cyberaktivistengruppen wie „Anonymous“ durchgeführt werden könnten. Vor diesem Hintergrund stellen sich deutsche Versicherungsnehmer zunehmend die Frage, ob ihre Cyberversicherungen hieraus resultierende Schäden decken oder ob Schäden möglicherweise durch Kriegsausschlüsse ausgeschlossen sein könnten.
Bislang fanden Cyberangriffe in der Regel in einer „Grauzone“ zwischen Frieden und Konflikt statt und standen oft im Verdacht, von sog. state sponsored actors wie den russischen „Fancy Bears“ oder „Cozy Bears“ durchgeführt worden zu sein. Die eindeutige Zurechnung zu einem Staat oder einer Regierung war schon immer eine Herausforderung für die Versicherer, die die Beweislast für das Vorliegen eines Versicherungsausschlusses tragen. Die Situation in der Ukraine ist jedoch durch den aktiven Konflikt deutlich verändert und die Frage der Zurechnung ist möglicherweise einfacher zu beantworten.
Die Frage, wie eine Cyberversicherung auf einen Cyberangriff reagieren würde, der sich gegen Computersysteme in der Ukraine richtet und sich dann über Netzwerke auf andere Länder oder direkt auf Computersysteme in Drittländern ausbreitet, ist nach wie vor sehr komplex. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung des Wortlauts der Versicherungsbedingungen und des Sachverhaltes.
Ob ein Versicherer legitime Gründe hätte, sich auf einen Kriegsausschluss bei einem Cyberangriff im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in Russland und der Ukraine zu berufen, hängt stark von den Umständen ab. Wir gehen davon aus, dass die Versicherer jeden Schaden anhand der jeweiligen Fakten und des anwendbaren Wortlauts der Police beurteilen werden. Je länger die Kausalkette zwischen dem fraglichen Cyberangriff sowie dem Schaden und dem aktuellen Konflikt in der Ukraine ist, desto schwieriger wird es für die Versicherer sein, sich auf den Kriegsausschluss zu berufen (z. B. wird der Kriegsausschluss weniger wahrscheinlich auf einen isolierten russischen Cyberangriff auf deutsche Computersysteme (wobei Deutschland nicht am Krieg beteiligt ist) Anwendung finden als auf einen russischen Cyberangriff auf ukrainische Computersysteme zur Unterstützung der laufenden Militäraktion in diesem Land).
Mit Blick auf die Zukunft ist es möglich, dass deutsche Versicherer versuchen werden, einen Ausschluss ähnlich den neuen Ausschlüssen der London Market Association (LMA) „War, Cyber War and Cyber Operations“ zu übernehmen, die im November 2021 veröffentlicht wurden. Diese neuen Klauseln schränken die Deckung für staatliche oder staatlich unterstützte Cyberangriffe erheblich oder vollständig ein und machen es den Versicherern leichter, eine Zurechnung nachzuweisen. Wir sehen jetzt schon, dass die Versicherer die derzeitige Situation in ihrem Underwriting berücksichtigen.
Warenkredit- und Forderungsausfallversicherung
Künftige Lieferantenkredite für Abnehmer in Russland und der Ukraine sind derzeit kaum mehr versicherbar. Einzelne Versicherer sind zwar aktuell noch bereit, Lieferungen nach Russland zu decken. Dafür müssen jedoch die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere im Hinblick auf etwaige Sanktionen, und die Bezahlung gesichert sein. Fraglich ist, ob für bereits versichertes Geschäft Deckungsschutz besteht. Das ist im konkreten Einzelfall anhand des vorliegenden Versicherungsvertrages zu prüfen. Grundsätzlich decken Warenkreditversicherer Forderungsausfälle bei Insolvenz, Nichtzahlung und auch bei sogenanntem „politischen Risiko“. Demgegenüber können aber Ausschlüsse, wie etwa „Krieg“ oder „höhere Gewalt“ stehen. Grundsätzlich bedarf es hier einer Prüfung der konkreten Police.
Warentransportversicherung
In der Warenversicherung sind die Gefahren des Krieges, Bürgerkrieges oder kriegsähnlicher Ereignisse in den üblichen Bedingungen ausgeschlossen. Im Rahmen einer Kriegsklausel werden diese Risiken jedoch für Seeund Lufttransporte wieder eingeschlossen, während „Krieg an Land“ grundsätzlich nicht versicherbar ist. Gefahren durch Streik und Aufruhr werden über die Klausel „Politischen Risiken“ wieder eingeschlossen. Doch erste Versicherer haben bereits begonnen, Krieg, Streik und Aufruhr fristgerecht für die Ukraine, Russland und das Schwarze & Asowsche Meer zu kündigen. Die kurzfristigen Auswirkungen der Kündigungen sind aktuell überschaubar. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass diese stärker werden, wenn Warenströme wieder einsetzen, aber politische Risiken unversichert bleiben. Bereits heute ist deutlich zu erkennen, dass es Zeichnungsverbote oder eine sehr restriktive Zeichnungspolitik für Transporte nach Russland, Weißrussland oder in die Ukraine geben wird.
Die EU hat weitreichende Sanktionen gegen Russland und genannte russische Staatsbürger beschlossen. Eine in den Policen dokumentierte Sanktionsklausel kann dann unmittelbar Wirkung entfalten. Es ist denkbar, dass Transporte (bspw. nach Russland, aber auch russisches Investment bei Transporten außerhalb der Landesgrenzen) zukünftig zwar keinem Ausschluss der Politischen Risiken unterliegen, die Versicherung dieser Transporte (insb. im Hinblick auf Ware und Empfänger) dem Versicherer jedoch aufgrund von Sanktionsbestimmungen nicht möglich sein wird.
Foto: Tina Hartung / Unsplash