Auswirkung der Pandemie auf die Baubranche und Bauverträge – Interview

Lesezeit: 5 Minuten

In Tages- und Wirtschaftspresse wird die Lage „am Bau“ im Vergleich zu stärker von der Pandemie betroffenen Wirtschaftszweigen nahezu als „business as usual“ geschildert. Aon bloggt hat diesbezüglich den Geschäftsführer der auf diese Branche spezialisierten Aon-Tochter UNIT, Dirk Oster, nach seiner Einschätzung gefragt, der als Interviewpartner den Rechtsanwalt Dr. Johann Peter Hebel dazugeschaltet hat (Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, SES Berlin Rechtsanwälte, Mitglied im Rechtsauskunft-Netzwerk für UNIT-Kunden).

Herr Oster, welches Feedback haben Sie von Ihren ca. 6.000 Kunden zur aktuellen Situation der Unternehmen und ihrer Projekte?

Oster: Zum Glück spüren die meisten der über UNIT betreuten größeren Planungsbüros nach eigenem Bekunden bisher wenig von der Krise, das hängt wohl mit deren starker Ausrichtung auf öffentliche Infrastrukturprojekte zusammen. Wir erhalten auch weiterhin Anfragen zur Absicherung neuer Großprojekte. Umfragen der Verbände sowie der Architekten- und Ingenieurkammern zeigen aber, dass eine Verschlechterung erwartet wird und vor allem im privatwirtschaftlichen Hochbau viele Aufträge abgesagt oder zurückgestellt worden sind. Einige Fachdisziplinen wie Innenarchitekten oder der Messebau sind praktisch lahmgelegt. Auch bei kommunalen Auftraggebern besteht die Gefahr eines massiven nachgelagerten Effekts im nächsten Jahr, weil Gewerbesteuern wegbrechen und deswegen jetzt Vergabeverfahren für anstehende Projekte gestoppt werden.

Also lässt sich derzeit noch keine Prognose abgeben?

Oster: Das wäre Kaffeesatzleserei. Vergangene Krisen zeigen, dass sich ein Einbruch des BIP stets auch im Bausektor abbildet. Viel hängt aber davon ab, ob die angekündigten Konjunkturpakete planbare Investitionen für Hoch- und Tiefbau mit sich bringen. Was die Unternehmen – und zwar der gesamten Branche – bei den meisten laufenden Projekten beeinträchtigt: es kommt vermehrt zu Verzögerungen auf den Baustellen und behördliche Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern deutlich länger.

Dr. Hebel: Störungen des Bauablaufs beschäftigen in der Tat Unternehmen und Juristen bereits seit Beginn des Lockdowns Mitte März, als die ersten Materiallieferungen und osteuropäischen Arbeitskräfte ausblieben. Verzögerungen sind bei Bauprojekten freilich auch außerhalb von Krisenzeiten nichts Außergewöhnliches. Das Werkvertragsrecht weist Risiken, welche die Leistungserfüllung betreffen könnten, in aller Regel dem Auftragnehmer zu. Er schuldet vertraglich den Erfolg und hat seine Arbeitsfähigkeit entsprechend zu organisieren.

Gibt es im Bauvertragsrecht keine Entlastungsregeln oder Force-Majeure-Klauseln?

Dr. Hebel: Für die bei ausführenden Bauunternehmen gängigen VOB/B-Bauverträge werden gemäß § 6 Ausführungsfristen verlängert, wenn eine Behinderung durch „höhere Gewalt“ oder andere für den Unternehmer unabwendbare Umstände verursacht wird. Höhere Gewalt kommt aktuell z. B. in Betracht, wenn bei einem Auftragnehmer ein Großteil der Beschäftigten behördenseitig unter Quarantäne gestellt ist oder Arbeitnehmer die Baustelle aufgrund behördlicher Einschränkungen nicht erreichen können. In beiden Fällen soll dies nach Auffassung des Bundesbauministeriums aber nur gelten, wenn auf dem Arbeitsmarkt oder durch Nachunternehmer kein Ersatz gefunden werden kann. Ebenfalls kann höhere Gewalt vorliegen, wenn Baumaterial Corona-bedingt nicht beschafft werden kann. Auch auf Auftraggeberseite kann die Ursache der Verzögerungen liegen, weil z. B. Entscheider wegen Quarantäne oder Erkrankung nicht erreichbar sind oder die konkrete Baustelle aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr betreten werden darf.

Was empfehlen Sie den von Verzögerungen betroffenen Bauherren und Unternehmen?

Dr. Hebel: Für alle genannten, aber auch für alle anderen von der Corona-Pandemie beeinträchtigten Fälle gilt, dass die behindernden Umstände nachprüfbar zu dokumentieren sind. Auftraggeber wie Auftragnehmer sollten daneben die zur Beseitigung der Behinderung bzw. zur Abmilderung der Folgen ergriffenen Bemühungen für spätere Auseinandersetzungen erfassen. Für Auftragnehmer gilt zudem, dass Behinderungen durch übliche Behinderungsanzeigen zeitnah angezeigt werden sollten.

Oster: „…wer schreibt, der bleibt!“ – penible Dokumentation ist eine alte und oft wiederholte UNIT-Empfehlung. Im Sinne des Projekts dürfte in der Praxis hoffentlich eine einvernehmliche Lösung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gesucht werden, wie mit den Folgen der Pandemie umgegangen wird.

Dr. Hebel: Eine Einigung sollte schon deshalb gelingen, weil schließlich auch die Auftragnehmer wegen Verzögerungen unter Umständen Ansprüche auf Entschädigung haben könnten. Für aktuell abzuschließende und zukünftige Verträge ist wichtig, dass für Pandemie-bedingte Bauzeitverlängerungen, erhöhte Anforderungen und Preissteigerungen bereits bei der Vertragsgestaltung Regelungen getroffen werden – gerade weil aktuell nicht absehbar ist, wie sich die Situation weiter entwickeln wird.

Herr Oster, wie sieht es mit Versicherungsschutz bei diesen Themen aus?

Oster: Was Verzögerungen, Behinderungen und das damit verbundene juristische Hickhack betrifft, so kann ich nur sagen: wohl dem Bauherrn, der für sein Projekt eine kombinierte Versicherung für alle Baubeteiligten abgeschlossen hat, wie wir sie mit Aon Construct anbieten. Warum? In der aktuellen Krise steigt das Risiko der Insolvenz einzelner Baubeteiligter. Wenn der Bauherr auf die jeweiligen Versicherungen der beteiligten Unternehmen vertraut, drohen dadurch gefährliche Versicherungslücken. Bei einer Projektversicherung wie Aon Construct ist das kein Problem.

Eins muss noch betont werden: Nicht jeder Haftungstatbestand ist ein Versicherungsfall. Nehmen wir z. B. die Berufshaftpflichtversicherung der Architekten und Ingenieurbüros, so stellen krankheitsbedingte Ausfälle und der damit verbundene mögliche Verzug von Planungsleistungen keine Verstöße im Sinne der Versicherungsbedingungen dar. Es besteht also kein Versicherungsschutz über die Berufshaftpflichtversicherung, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund des Virus vertragliche Fristen nicht erfüllen kann. Schutz bietet die Versicherung aber beiden Parteien, wenn Fehler bei Leistungen gemacht werden, das gilt z. B. für die in Corona-Zeiten noch wichtiger gewordenen Pflichten des Bauüberwachers.

Herr Oster, Herr Dr. Hebel, vielen Dank für Ihre Zeit!

Beitrag teilen

Ansprechpartner

Dirk Oster
Geschäftsführer Unit Versicherungsmakler GmbH
+49 2087006-2007

Dr. Johann Peter Hebel
SES Berlin | Rechtsanwälte und Notare
+49 30 31 57 57 60

Kommentar verfassen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

fünf × eins =